Der Weg, die Wahrheiten und das Leben in der Philosophie

Unter dem Titel: ?Der Weg, die Wahrheiten und das Leben. Warum sich die Fakten nie an den Philosophen r?chen“, hielt Prof. Dr. Christian Sch?fer, Inhaber des Lehrstuhls Philosophie I an der Universit?t Bamberg, den zweiten Vortrag in der Ringvorlesung des Instituts für Katholische Theologie. Das Theologische Forum n?hert sich im Wintersemester 2017/18 aus verschiedenen Perspektiven interdisziplin?r der Frage an: ?Z?hlt Wahrheit heute noch?“

In seinen einleitenden Worten charakterisierte Sch?fer die Philosophie als ?Gigantomachie von Fundamentalkontroversen“, d. h. als ein Miteinander-Ringen von Positionen, bei denen es sprichw?rtlich um’s Ganze geht. Im Gegensatz zu empirischen Wissenschaften, in denen sich disziplinspezifische Paradigmen abl?sen – man denke etwa an den Wechsel von der Aristotelischen Physik zu der Newtons, die wiederum vor den Neuerungen Einsteins und Heisenbergs nicht bestehen konnte –, zeichnet sich die Philosophie durch die Persistenz und die Nicht-Eliminierbarkeit konsistenter kontr?rer Positionen aus.

Wissenschaftstheoretisch sei für dieses besondere Merkmal der Philosophie jenen Erkl?rungen eine Absage zu erteilen, die den verschiedenen Positionen mutwilliger Nichtbeachtung oder vereinfachendes Harmonisieren unterstellen. Im Bestreben, dieses Nebeneinander an Wahrheiten und Wahrheitsansprüchen zu plausibilisieren, konsultierte Sch?fer in seinem Vortrag Nicholas Reschers ?Der Streit der Systeme“: Reschers dreifache Definition entfaltet differenziert Methode, Intention und Gestalt einer ?philosophischen Position“: (1) Sie ist jeweils in sich konsistent im Hinblick auf die expositio mundi, also dem Anspruch einer umfassenden Weltdeutung. (2) Weiterhin ist sie rational in sekund?r reflexivem Sinne; das bedeutet, dass sie sich selbstkritisch über die Art und Weise ihres Nachdenkens Rechenschaft ablegt. (3) Zuletzt verh?lt sie sich gegenüber Daten und Erkenntnissen anderer Wissensformen integrativ und greift auf all das zurück, was der Wirklichkeitsdeutung dient. Demnach ist es für eine philosophische Position unm?glich, an der eigenen Konsistenz oder den ihr zugrundeliegenden Daten zu scheitern.

Die Grundentscheidung für oder gegen eine philosophische Position gründet – so Sch?fer – auf kognitiven Werten, deren Kl?rung er sich in einem weiteren Schritt zuwandte. Er zog dabei den Ansatz Jose Ortega y Gassets (?Historia como sistema“) zurate, demzufolge jeder Mensch über ?Lebensausrichtungen“ unspezifischen Ursprungs verfügt, d. h. ?berzeugungen und Denkmuster, die unsystematisch koexistieren und sich zuweilen widersprechen k?nnen. In seinem Zwischenfazit erkl?rte Sch?fer schlie?lich, dass es das Projekt der Philosophie sei, diese gedanklichen Erstbew?ltigungen systematisch zu prüfen und sie in einen intellektuell anspruchsvollen konsistenten und ad?quaten Zusammenhang zu bringen.

Daraufhin formulierte Sch?fer drei Folgerungen aus dieser Gemengelage: (1) So zeige sich, dass die Philosophie von Voraussetzungen wie den genannten Grundüberzeugungen lebt, die sie selbst weder garantieren noch generieren kann. (2) Weiterhin lassen sich zwei differente methodische Ans?tze ableiten, die lediglich das Verh?ltnis der von Rescher und Ortega y Gasset eingebrachten Komponenten unterschiedlich akzentuieren: Die Philosophie kann (a) entweder ihren Fokus auf den Menschen als geschichtliches Wesen richten und damit den Generierungszusammenhang ihrer Positionen betonen oder (b) sich auf das Gewinnen umfassender Supertheorien, die aus ihnen herausdestilliert werden, konzentrieren. (3) Zuletzt bestritt Sch?fer den Vorwurf, dass das Nebeneinander philosophischer Positionen in einen Relativismus münde; vielmehr würden der Wahrheitsanspruch einer jeden Position sowie die jeweilige persistente Nicht-Eliminierbarkeit ihren Geltungsanspruch verbürgen.

Der Vortrag endete mit dem Fazit, dass in der Philosophie die Fakten zu respektieren seien, aber nicht notwendig ein theoretisches Anerkennungskriterium bilden, da Philosophie keinen spezifischen Gegenstandsbereich habe. Angesichts der unhintergehbaren Pluralit?t der philosophischen Grundpositionen bleibe das Beharren auf dem Anspruch von Wahrheit jedoch ein Merkmal der Philosophie, das systematisch reflektiert werden kann und lebensweltlich rückgekoppelt ist.

Hinweis

Diesen Text verfasste Simon Steinberger. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.