33. Hegelwoche: "Denken der Gegenwart - Gegenwart des Denkens?"
Was bedeutet uns das "Anthropoz?n"?
Es sei die Aufgabe der Philosophie, ihre Zeit in Gedanken zu erfassen, schreibt Hegel in der Vorrede zu seinen "Grundlinien der Philosophie des Rechts". Und das ist auch seit jeher das Anliegen der Bamberger Hegelwoche: Ph?nomene der Gegenwart in ihrer schillernden Mehrdeutigkeit mit dem Schmetterlingsnetz des Denkens zu fassen und tiefer zu durchdringen.
In diesem Jahr geht es aber nicht um die Fülle all dessen, was uns umgibt und sich oft rasend schnell ver?ndert, sondern um den Kern des Ganzen: unsere Gegenwart selbst, die Zeit in der wir leben. Damit auch um die Frage, ob es einen solchen Kern gibt, also eine neue, ganz eigene Epoche und Zeit unseres Selbstverst?ndnisses, die oft unter dem Stichwort ?Anthropoz?n“ behandelt wird und das Holoz?n nach 12.000 Jahren abgel?st haben soll?
Bei dieser Hegelwoche fragen wir aber nicht geologisch, nicht nach Klimawandel, Artenverlust, Verschmutzung und Zerst?rung der Umwelt, auch nicht nur nach der technischen Umgestaltung der Welt – sondern nach dem, was all diese Ver?nderungen für uns Menschen und unser Selbstverst?ndnis bedeuten. L?sst uns die von Menschen geformte und deformierte Gegenwart alles anders sehen – oder drückt der Begriff ?Anthropoz?n“ für unsere Zeit eine v?llige Selbstübersch?tzung des Menschen aus? Aber auch gerade deswegen k?nnte der Begriff treffend sein: Vielleicht ist unsere Gegenwart tats?chlich etwas Neues, n?mlich die Epoche des unaufhaltsamen Aufstiegs menschlicher Selbstübersch?tzung? Auf die dann hoffentlich kein tiefer Fall folgt...
Zeit und Ort
Die Vortr?ge im Rahmen der 33. Bamberger Hegelwoche finden statt vom 20. bis 22. Juni, jeweils um 19.00 Uhr, in der AULA der Universit?t, Dominikanerstra?e 2a.
Programm
Dienstag, 20.6.2023
?Zeitzeichen Anthropoz?n – Machen wir die Gegenwart?“
Prof. Dr. Dr. h.c. Walther Ch. Zimmerli, Humboldt-Universit?t Berlin und Universit?t Zürich
Der erste Hauptredner, der 1990 die Hegelwochen begründete und viel in Bamberg anstie?, wirft die Frage auf, ob wir Menschen die Gegenwart machen oder deren Resultat sind. Und damit verbunden: Gibt es tats?chlich Merkmale der Gegenwart, die erlauben, von einer neuen Zeit zu sprechen? Dabei sind die objektiven Ver?nderungen von den erlebten oder gefühlten Vorstellungen unserer Zeit zu unterscheiden, also das, was wir vorfinden, von dem, was wir hineintragen. Zimmerlis Leitgedanke eines ?postanalogen Menschseins“ bringt unsere Gegenwart im Sinne Hegels auf den Begriff: Wir leben zwar in einer in durch uns selbst beschleunigten Dynamik der Zeit und ringen um ein neues Selbstverst?ndnis in ihr. Aber damit geht keineswegs ein fundamentaler Kategorienwechsel einher, denn wir bleiben die ?alten“ hermeneutischen Verst?ndniswesen, die wir immer waren; denn wir müssen auch noch die Digitalisierung rückübersetzen, also re-analogisieren, um sie zu verstehen.
Mittwoch, 21.6.2023
?Lebensgefühl Anthropoz?n – Was geschieht mit uns?“
Prof. Dr. Uwe Voigt, Universit?t Augsburg
Uwe Voigt hebt am zweiten Abend demgegenüber hervor, dass es sich für uns durchaus anders anfühlt, in der Gegenwart zu leben - und dass uns das ver?ndert. Es ist ein ?Mit-uns-geschehen“, das wir weder einfach nur hinnehmen, noch ganz selbst machen; unsere Zeit ist kein aktiver Weltgeist, der uns gestaltet, noch allein unser Produkt. Die Gegenwart ist etwas dazwischen, wenn sie einen Zeitgeist hat, dann ist der wankelmütig und keineswegs stets gut gelaunt, eher launisch und unberechenbar, aber auch selbstverliebt-narzisstisch. Kein einfacher Weltgeist ... Und dieser Zeitgeist hat natürlich Folgen für uns: Wir erleben nicht nur eine noch nie dagewesene, immer weiter beschleunigte technische ?berformung unserer Welt, sondern werden auch von dem Narzissmus des Zeitgeistes angesteckt. Deswegen erleben wir jede Kritik als pers?nliche Kr?nkung – und damit werden Meinungsverschiedenheiten schnell zu einem Kampf auf Leben und Tod. Zu durchschauen und aktiv zu gestalten, was mit uns geschieht, w?re nach Voigt ein erster Schritt, um sich den dunklen Seiten des neuen Lebensgefühls zu entziehen und hellere zu entdecken.
Donnerstag, 22.6.2023
?Kunstform Anthropoz?n – was bewegt uns?“
Künstlergruppe: Aiken Cura (Berlin); Reflexion: Dr. Marion Friedrich (Augsburg)
a) Performance
Wenn wir miteinander sprechen, dann interagieren eigentlich Gehirne, auch wenn wir das gar nicht beachten. ?Nachtalb“ ist ein Projekt der digitalen Kunstgruppe Aiken Cura aus Berlin, eine immersive Installation, die aber gerade Gehirn-zu-Gehirn-Interaktion visuell eindrücklich erlebbar zu machen erm?glicht. Um zu verstehen, was das hei?t, müssen Sie kommen. Nur so viel: Die Kombination aus Virtual Reality und einem Brain-Computer-Interface schafft einen Kommunikationskanal, der es dem Gehirn erlaubt, mit sich selbst zu interagieren, ohne dass der Nutzer bewusst in diese Interaktion eingreifen kann. Deren einzige Quelle der Wahrnehmung ist die ?bersetzung ihrer neuronalen Aktivit?t: Ein Interface dieser Technologien erm?glicht es dem Gehirn, mit sich selbst zu interagieren. Na also, das wollten Sie doch sicher immer schon mal.
b) Reflexion
Da Psycholog*innen wie Philosoph*innen gerne und best?ndig hinterfragen und deuten, betrachtet Dr. Marion Friedrich das Kunsterlebnis ?Nachtalb“ aus psycho-philosophischer Perspektive und führt zur Frage nach dem Menschen im Anthropoz?n weiter. In der Performance kreiert der Mensch ein eigenes Universum aus sich selbst heraus, durch das er als moderne Monade m?andert und droht, sich darin zu verlieren. Das spiegelt aber genau, wie wir heute (auch aufgrund soziopolitischer und gesundheitspolitischer Begebenheiten) mehr und mehr auf uns selbst zurückgeworfen sind und vor der Gefahr stehen, unsere Freiheit zu verlieren – weil wir sie gar nicht mehr bemerken. Freiheit muss erlebt werden, um wirklich zu sein, denn nur sinnenhaft erlebt der Mensch das soziale Leben und damit die Freiheit, die ihm dabei als ethischer Kompass dient.
c) Gespr?ch
Aiken Cura, Dr. M. Friedrich, Prof. Dr. W. Zimmerli und Prof. Dr. U. Voigt; Moderation Prof. Dr. C. Illies.
Hegelforum
– die reflektierende Vertiefung der Hegelwoche als ?Sp?tlese“
?Wie denken wir die Gegenwart?“
Ernst Ulrich von Weizs?cker im Gespr?ch mit Prof. Dr. Walther Zimmerli
23. Juni 2023, 9.30 Uhr, Kapitelsaal St. Stephan, Stephansplatz 5, Bamberg
Im Kontext der diesj?hrigen Hegelwoche zur Frage, was uns das ?Anthropoz?n“ bedeutet (20. bis 22.06.2023), findet ein Gespr?ch zwischen dem Biologen und Umweltpolitiker Ernst Ulrich von Weizs?cker mit dem Philosophieprofessor Walther Ch. Zimmerli statt. Beide sind langj?hrige Freunde und Weggef?hrten.
Dabei wird es um die Verbindung von ?kologie und ?konomie gehen. Im Zentrum steht die bekannte Forderung von Weizs?ckers, ?die Preise müssten endlich die ?kologische Wahrheit sagen“, sowie seine ebenso pr?gnante Formulierung ?Leider ist das Anthropoz?n nicht nachhaltig. K?nnen wir das ?ndern?“ Zimmerlis These von der Digitalisierung als dem ?postanalogen Menschsein“ scheint dazu im Widerspruch zu stehen.
Nach diesem von dem Bamberger Philosophieprofessor Christian Illies moderierten Gespr?ch ist eine Reflexionsrunde unter Einbeziehung von Kolleginnen, Kollegen, Studierenden und des Publikums vorgesehen.
Im zeitlichen und thematischen Anschluss hieran veranstaltet die Fr?nkischen Gesellschaft für Philosophie e.V. Bamberg (FGPh) ebenfalls im Kapitelsaal der Gemeinde St. Stephan. Weitere Informationen erhalten Sie auf den Webseiten der Gesellschaft.