Schloss Kannawurf in Thüringen – Bauhistorische Untersuchungen zur Raumorganisation des 16. Jahrhunderts

 

Bearbeiter: Andreas Priesters M.A.

Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling

 

 

Objektbeschreibung

Der weitr?umige Komplex am Nordrand des Thüringer Beckens besteht aus dem frühneuzeitlichen Schlossbau und umgebenden Wirtschaftsgeb?uden des 19. Jh. Das Kernschloss ist eine regelm??ige Dreiflügelanlage auf nahezu quadratischer Grundfl?che, deren vierte Seite durch eine Mauer mit mittig eingestelltem Rundturm und h?lzerner Galerie geschlossen wird.

Das Schloss ist 1562-65 durch Georg II. Vitzthum von Eckst?dt anstelle eines mittelalterlichen Vorg?ngerbaues errichtet worden. Teile der Kelleranlagen und des Südflügels sind ?lteren Bauphasen zuzuordnen. Sp?tere Bauma?nahmen und eine allgemeine Verkleinerung der Raumstrukturen im Barock haben das Schloss insgesamt wenig ver?ndert. Die Untersuchungen lie?en somit Rückschlüsse auf die Grundrissstrukturen und Raumorganisation der Renaissance erwarten.

Methodik

Da bisher keine archivalischen Quellen zur Baugeschichte Kannawurfs bekannt sind, erfolgte eine Einordnung aufgrund bauforscherischer Untersuchungen in Verbindung mit den Ergebnissen der allgemeinen Forschung zu Adelssitzen der Renaissance.

Eine Fassadenkartierung auf der Grundlage photogrammetrischer Aufnahmen erm?g-lichte Aussagen zur ?u?eren Ablesbarkeit von Raumstrukturen und Spuren der Nutzung, z.B. Aborterker. Im Innern wurden mittels Befunduntersuchung sowie partieller Aufma?e die historischen Raumstrukturen und ihre Charakteristika erfasst. Aus der Beobachtung heraus erfolgte der Schluss auf ein grundlegendes hierarchisierendes Schema, welches innerhalb des Schlosses eine Systematik erkennen l?sst und Vergleiche mit anderen Bauten erm?glicht.

Renaissancezeitliche Raumstrukturen

Die Identifizierung der renaissancezeitlichen Raumfunktionen und Appartementstrukturen war über die Ermittlung von Ofenstandorten, Abtritten sowie Unterzugformen zu erreichen. Von den Erschlie?ungsr?umen aus beschickbare Befeuerungs?ffnungen für Hinterlader?fen weisen die zumeist gr??eren R?umlichkeiten als Stuben aus. Einseitig gestaltete Türlaibungen sind dem Innern dieser R?ume zugewandt, was auf eine von innen nach au?en entwickelte Repr?sentation oder gar Zeremoniell schlie?en l?sst. Die Unterzüge visualisieren durch ihre differenzierte Ausformung eine Hierarchisierung zwischen übergeordneter Stube und untergeordneten R?umen. Die Aborte wurden allesamt als Erker angelegt und waren von den kleineren, unbeheizten Kammern aus zug?nglich.

Die Variation der Wohnr?ume reicht von gr??eren Appartements in den Vollgeschossen zu kleineren Strukturen in den ehem. Zwerchh?usern von Nord- und Südflügel. Die gro?en Wohnstuben der Obergeschosse, teilweise aber auch die zugeh?rigen Schlafkammern, sind zur westlichen Hauptansichtsseite des Schlosses mit Blick zum Ort orientiert. Zusammen mit den angegliederten kleinen Kammern in den Ecktürmen konnte ein Ausblick in unterschiedliche Landschaftsformen dem herrschaftlichen Anspruch genügen. Dadurch, dass die Schlafkammern in den Seitenflügeln bzw. Ecksituationen untergebracht wurden, konnte auf Abortanlagen in der westlichen Schaufassade zu Gunsten des Repr?sentationszweckes verzichtet werden. Die Form des Stubenappartements, d.h. die Hintereinanderschaltung von Erschlie?ungsraum, aufw?ndig gestalteter und beheizbarer Stube sowie (Schlaf-) Kammer mit Abort ist dabei analog zu Grundrisskonzeptionen anderer zeitgen?ssischer Schl?sser.

Im EG finden sich reduzierte Raumfolgen bestehend aus Kommunikationsraum und Stube ohne anschlie?ende Kammer. Weitere R?ume waren sowohl für wirtschaftliche Nutzung als auch zu bescheidenen Verteidigungszwecken vorgesehen. Seitliche Vertiefungen für Prellh?lzer als Vorrichtung für Hakenbüchsen konnten in den Scharten nachgewiesen werden.

Resümee

In Schloss Kannawurf werden Raumfunktionen und -organisation in den weitgehend regelm??igen Gesamtplan eingepasst. Das Raummodell des Stubenappartements wurde von den Residenzschl?ssern übernommen und in bescheidenere Strukturen eingepasst. Eine r?umliche und fortifikatorische Ausrichtung gegenüber dem Ort wurde umgesetzt, bei der das Schloss eine eindeutige machtsymbolische Position einnimmt, die m?glicherweise aus den Erfahrungen des Bauernkrieges resultiert. Kannawurf zeigt in Gesamtkonzeption und Raumstruktur einen repr?sentativen Schlosstypus, der sich durchaus mit Anlagen des Hochadels vergleichen l?sst. Eine eher konservative Formensprache und einfache Bauweise entsprechen dagegen dem Status eines l?ndlichen Adelssitzes.